Neue Marxistische Blätter zum Thema “Zur Lage der arbeitenden Klasse in der (Corona-)Krise” erschienen!
Wir verweisen an dieser Stelle sehr gerne auf die neuste Ausgabe der Marxistischen Blätter zum Thema “Zur Lage der arbeitenden Klasse in der (Corona-)Krise“. Dabei dokumentieren wir im Folgenden die Beschreibung zur Ausgabe.
Editorial:
„In der Redaktionssitzung vom 11. März haben wir entschieden, ein Sonderheft zur Coronakrise zu machen. Arbeitstitel ‚Die Welt nach Covid-19‘“ so unsere Ankündigung in der letzten Ausgabe, bei deren Redaktionsschluss (31.März) die Wucht, der Umfang und die Dynamik dessen, was heute alle „Coronakrise“ nennen, noch nicht erkennbar waren. Auch wenn bis zur Endredaktion dieses Sonderheftes (Ende Mai) vieles deutlichere Konturen bekommen hat, gibt es doch noch viele offenen Fragen und Streitpunkte über den Charakter dieser Krise, ihre Folgen für Gesellschaft, Politik und Ökonomie und sinnvolle Gegenrezepte. Die Beiträge dieses Heftes möchten wir darum als Momentaufnahmen verstanden wissen, als Puzzlesteine zu Analyse und Verständnis dieser großen Krise, die uns noch lange beschäftigen wird.
*** Eine kleine Klarstellung vorab: Auch wir verwenden das Kürzel „Coronakrise“, wissend dass SARS-CoV-2 (so der wissenschaftliche Name des neuen Virus) einzig und allein krank macht und für sonst nichts verantwortlich ist. Für die Maßnahmen zu seiner Bekämpfung und alles andere sind Menschen als handelnde Subjekte verantwortlich, einzeln, in der Gruppe, als Gesellschaft und in deren Machtzentralen. Auch dafür, ob und was wir aus dieser und vorherigen Pandemien für die Abwehr zukünftiger lernen. Selbst die Häufung solcher Pandemien im Anthropozän ist keine „Naturkatastrophe“ sondern hat menschengemachte Ursachen, die – wie beim Thema Klimakrise – im Umgang mit unserer natürlichen Umwelt und ihren Ressourcen zu finden sind. Über den spezifischen Charakter dieser globalen „Coronakrise 2020“ – die mit Sicherheit in die Geschichtsbücher eingehen wird – gibt es noch keine gesicherten Antworten, aber spannende Denkanstöße, die über das allgemeine Mantra „Die Krise heißt Kapitalismus“ hinausgehen. (Siehe z.B. die Rubrik „Bei anderen gelesen“ in diesem Heft.) Dem namengebenden Virus kommt beim globalen Zusammenwirken von aktueller Pandemie, ungelöster Finanz- und kapitalistischer Überproduktionskrise höchstens die Rolle als „Entwicklungsbeschleuniger“, „Katalysator“, „externer Schock“ etc. pp zu. Darum verwenden wir im Titel und einigen Artikelüberschriften als eine Art Stolperstein die etwas sperrige Schreibweise (Corona-)Krise.
*** Unser Sonderheft legen wir hiermit vor. Den Arbeitstitel haben wir allerdings verändert. Das ist Ergebnis eines längeren, kollektiven Erarbeitungsprozesses in unserer kleinen Redaktion, aber vor allem im Herausgeberkreis unserer Zeitschrift, den es in dieser Breite und Intensität so schon lange nicht mehr gegeben hat. Und das trotz der Restriktionen des Ausnahmezustandes – der unsere geplante Herausgebersitzung unmöglich machte – eben per E-Mail-Austausch, Telefonkonferenzen, intensiven Zweier – und Dreiergesprächen, auch schon mit neu hinzugewonnenen Herausgebern. Der jetzige Titel „Zur Lage der arbeitenden Klasse in der (Corona-)Krise“ ist absichtsvoll von Friedrich Engels entlehnt. Nicht weil sein 200. Geburtstag zelebriert wird oder seine berühmte Frühschrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ vor 175 Jahren erschienen ist. Sondern weil die Antwort auf die Frage, wie „Die Welt nach Covid-19“ aussehen wird, in ihrem letzten Kern vom Kräfteverhältnis zwischen „Kapital und Arbeit“ abhängt, global und in jedem einzelnen Land. Um dieses Kräfteverhältnis war es aus Sicht arbeitender Menschen schon lange vor Covid-19 nicht sonderlich gut bestellt. Darum neigen wir bei der Antwort auf die bis tief in die Linke diskutierte Frage, ob in dieser Krise nicht auch die „Chance für eine bessere Welt“ steckt, zu Klaus Dörres Haltung: „Den Optimismus des Willens in Ehren, wäre es doch fahrlässig, ihm die gebotene Skepsis präziser Analyse zu opfern.“ Und weil „präzise Analyse“ in unserem Verständnis nicht der Nische akademischer Theoriedebatten über den Charakter dieser bisher einmaligen Krise vorbehalten sein darf, versuchen wir sie aus der Perspektive der Arbeiterklasse (w/m/d) und lassen mehr als in anderen Heften gewerkschaftliche, betriebliche, politische Interessenvertreter derselben zu Wort kommen.
*** Wir haben das Heft grob in drei Teile gegliedert. Zum Einstieg veröffentlichen wir neun kurze „Lageberichte“ aus verschiedenen Ländern und Weltregionen: aus der BRD (Manfred Sohn), Österreich (Robert Krotzer, Gesundheitsstadtrat der KPÖ in Graz), den USA (u.a. Glen Ford, Chefredakteur von BlackAgendaReport) Südostasien (Stefan Kühner), Kerala/Indien (Shashi Tharoor)), Brasilien (Eduardo Goncalves Serra, Internationaler Sekretär der Brasilianischen KP), Argentinien (Claudio Ottone, Redakteur bei “Nuestra Propuesta”, Wochenzeitung der KP Argentiniens) und Russland (Christian Müller von infosperber.ch) Denn diese Coronakrise ist eine globale. Sie trifft alle, aber nicht alle gleich! Und nicht alle Staaten sind mit dem gleichen „Krisenmanagement“ gegen Covid-19 vorgegangen. Wer also ein realistisches Gesamtbild von dieser Krise bekommen will, muss über den Tellerrand bundesdeutscher Komfortzonen hinausschauen. In einem zweiten Block geht es um die konkrete Lage einzelner Teile der bundesdeutschen Arbeiterklasse in dieser Coronakrise. Dafür haben wir als AutorInnen gewonnen: den Publizisten und ArbeitsUnrechts-Aktivisten Werner Rügemer, Rainer Perschewski (Betriebsrat DB, Betriebsgruppen EVG), Lena Kreymann und Andrea Hornung (SDAJ-Geschäftsführung), die Betriebsrätin Regina Schmidt-Kühner (IGM), den bekannten Schauspieler Rolf Becker, den soloselbstständigen Berater Werner Zimmer-Winkelmann und Volkmar Schöneburg. Der Strafrechtler und ehemalige Justizminister Brandenburgs skizziert unter der Überschrift „Die Logik des Gefängnisses“ u.a. die Folgen des Corona-Krisenmanagements für den strafgefangenen Teil der Klasse. Ergänzt werden diese Beiträge in der Rubrik „Dokumentation“ durch einen „Offenen Brief“ der bundesdeutschen Studierendenvertretungen, ein Positionspapier des IG Metall-Netzwerkes „Offensive Gewerkschaftspolitik“, einen Auszug aus dem Sondermemorandum der Arbeitsgruppe Alternativer Wirtschaftwissenschaftler und ein Positionspapier zur Konversion der Automobilindustrie. Im dritten Block geht es um einzelne Aspekte der (Corona-)Krise. Der linke Arzt und Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung im Berliner Abgeordnetenhaus, Wolfgang Albers, klärt u.a. über die Covid-19-Pandemie als gesundheitspolitische Herausforderung auf. Was die Häufung von Pandemien mit dem globalen Agrobusiness zu tun hat, behandelt Rob Wallace (USA) am Beispiel der mittlerweile gut erforschten Ebola-Pandemie. Der PapyRossa-Verlag genehmigte uns einen Vorabdruck aus seinem neuen Buch. Conrad Schuhler und Lucas Zeise beleuchten den ökonomischen Teil der globalen (Corona-)Krise. In weiteren Artikeln geht es um die Rolle des Staates (Kai Köhler), der Medien (Franziska Schneider) und der Wissenschaft (Nina Hager) beim Krisenmanagement, um die geplante Tracing-App und demokratische Grundrechte (Ronald Piekny). Andreas Wehr unterzieht das Krisenmanagement der Bundesregierung einer grundlegenden Kritik. FIR-Präsident Ulrich Schneider schreibt über die extreme Rechte in der Coronakrise, Raimund Ernst darüber, wie die Grünen den wiederentdeckten Gemeinsinn ins Gegenteil verkehren und Anne Rieger, warum die Renaissance des bedingungslosen Grundeinkommens zwar verständlich ist, aber als Problemlösung untauglich. Im Beitrag von Hans Modrow (aber nicht nur da) geht’s um die Systemfrage, die in der Pandemie sichtbar wird. Als langjähriger Politiker und Vorsitzender des Ältestenrates der deutschen Linkspartei fragt er sich auch, „ob meine Partei diesen Problemen die angemessene Aufmerksamkeit schenkt. Die Antwort lautet: Nein. Sowohl im Allgemeinen wie auch im Konkreten nicht. Das praktisch-politische Handeln und das theoretische Denken hat nicht das Niveau, dass den aktuellen Herausforderungen – im nationalen und im globalen Rahmen – angemessen ist.“ Der Ältestenrat der Linken werde „darauf Einfluss nehmen, dass marxistisches Denken wieder stärker in den Vordergrund tritt.“ Das sei „dringend nötig.“ Für das Ende dieses Blocks haben wir den italienischen Marxisten, Journalisten und China-Kenner Francesco Maringiò gebeten, für uns jene „systemischen Merkmale“ zu untersuchen, die das bisherige chinesische Krisenmanagement gegen Covid-19 so viel effizienter gemacht haben als das anderer Staaten.
*** Wir wären nicht die „Marxistischen Blätter“, wenn wir beim Blick auf Gegenwart und Zukunft, nicht in die Vergangenheit blicken würden. Holger Wendt hat also Friedrich Engels‘ Frühwerk in der Coronakrise für uns neu gelesen. Hans-Peter Brenner befasst sich mit der „Seuchenpolitik“ der jungen Sowjetmacht nach der Oktoberrevolution. Und Wolf-Dieter Gudopp-von Behm springt zurück ins 5. Jahrhundert v.u.Z., konkret zum Bericht des Thukydides über „Krieg und Epidemie im alten Athen“ und landet mitten in der Gegenwart. Denn ein Hit unter US-amerikanischen Politologen ist die „Thukydides-Falle“, d.h. die angebliche Unvermeidbarkeit von Krieg zwischen einer aufsteigenden Macht und dem bisherigen Hegemon. Ein Thema, das auch Conrad Schuhler bewegt, in seinem neuen Buch „Wie weit noch bis zum Krieg? Die USA, China, die EU und der Weltfrieden“. Wir haben es rezensiert, – auch als kleines Geschenk zum 80. Geburtstag des Autors.
*** Unübersehbar ist: in dieser großen (Corona-)Krise sind Kräfteparallelogramme in Bewegung – global (USA/China), in der EU, zwischen Metropolen und Peripherie, zwischen Monopolkapital und dem Rest, zwischen Wirtschaftssektoren, Krisenverlierern/ -gewinnern, und zwischen den Klassen. Es werden Weichen gestellt, auch wenn noch niemand sicher sein kann, in welche Richtung. Sicher ist nur: es wird teuer! Für alle? Oder wieder nur für die Mehrheit? (Das wird auszukämpfen sein. Und zwar hart.) Sicher ist aber auch, dass die Weichenstellung für die Donald Trump steht – „War against Wuhan-Virus“, „US-First“, Handels-, Steuer- und richtiger Krieg (auch gegen die eigene Bevölkerung), Kündigung von S.T.A.R.T- und Open-Skys-Abkommen, Leugnung der Klimakrise, Ausstieg aus der WHO etc. pp – in die falsche Richtung geht, die total falsche Antwort auf die Herausforderungen ist, vor denen die Menschheit steht. Was die Frage aufwirft, ob es nicht langsam Zeit wird, nachzudenken über eine globale „Anti-Trump-Koalition“ aller Kräfte, die auf internationale Kooperation und Solidarität setzen statt auf Konfrontation und (Konkurrenz-)Krieg mit allen Mitteln. Nur so eine Idee am Rande. LoG