Redebeitrag von Tanja-Bauder-Wöhr (Vorsitzende Fraktion Marburger Linke) zu Unterkünften für Geflüchtete Menschen!

An folgender Stelle dokumentieren wir die Rede unserer Stadtverordneten, Tanja Bauder-Wöhr, im Stadtparlament zum Thema “Unterkünfte für Geflüchtete Menschen”.

Kommunales: Redebeitrag zum Thema Unterkünfte für Geflüchtete Menschen

(von Tanja Bauder-Wöhr)

was mir geschehen ist.
Es ist vorbei, die Spuren noch im Herzen.
Kein Platz für mich, für Schlaf in diesem Bus.
Die Füße vertrocknet, der Traum versank im Auge.
Die Polizei sagte stopp.
Geht zurück, geht zurück.
Alle dann in den Waggons, nur ich allein auf dem Gleis.
Das Schlauchboot sank, und mein heißes Herz für Europa wurde kalt.
Die Welt schlief, nur wir waren wach,
hungrig, durstig, müde.
Wir sind ja weggegangen, schwieriger wird es zurückzukehren.
Das ganze Sich-Zerreißen, für ein bisschen Ruhe.
Nicht meine Ruhe.
Die Ruhe meiner Familie.

Yasser Niksada, 14, in Afghanistan geboren, über die Überfahrt nach Europa

 

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,

sehr geehrte Mitglieder des Magistrats,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Gäste,

die eben gehörten Worte eines 14-jährigen Kindes, dessen Familie ihn nach Europa schickte in der Hoffnung auf ein besseres Leben bzw. Überleben, soll uns kurz vor Augen führen, wie dankbar wir sein können nicht um unser Töchter und Söhne  stündlich Angst haben zu müssen, vor Bombenangriffen, vor Hunger, vor Willkür, dazu kaum Zugängen zu Bildungseinrichtungen vor allem für junge Mädchen und Frauen.

Vor wenigen Wochen begründete ich an dieser Stelle bereits unseren damals noch dringlichen Antrag, mit dem Hinweis darauf, dass wir es bedauern, dass die Stadt Marburg offensichtlich ihr Leitbild der dezentralen Unterbringung von Geflüchteten aufgibt und jetzt ebenfalls auf Sammelunterkünfte setzt. Für unsere Fraktion ist wichtig: Es Bedarf eines konzeptionellen Vorgehens, in dem pädagogische Fachkräfte eingesetzt werden. Dies soll selbstverständlich für alle Unterkünfte gelten. Mit großer Freude haben wir am Mittwoch bei der öffentlichen Besichtigung der zukünftigen Geflüchteten Unterbringung in Cappel erfahren, dass dieses Anliegen aufgegriffen wurde und pädagogische Fachkräfte täglich vor Ort sind und zwar in Cappel, Haddamshausen und Moischt.

Ebenso erfreut hat uns, dass gegen die ursprünglichen Planungen jetzt doch in den großen Unterkünften Gemeinschaftsräume eingerichtet werden, um neben Kinderbetreuung auch Deutschkurse anbieten zu können. Wir sind sehr zuversichtlich, dass auch die Notwendigkeit Dolmetscher zur Verfügung zu stellen umgesetzt wird.

Außerdem wichtig, zur Verbesserung des Zusammenlebens der Anwohner und der Menschen mit Fluchterfahrung sind dringend flankierende und unterstützende Maßnahmen nötig und zwar bevor sich Konflikte entwickeln. Hier hatte sich in der Vergangenheit bewährt, dass gezielt Menschen frühzeitig eingeladen wurden sich nicht nur zu informieren, sondern auch ehrenamtliche Strukturen gemeinsam mit der Fachdienststelle Migration und Integration erarbeitet wurden, hierbei wurde geschaut welche Bedarfe sind notwendig, welche Menschen können wie unterstützen, welche Maßnahmen können ergriffen werden. Mir persönlich besonders in Erinnerung geblieben sind die gemeinsamen Kochvergnügen, eine kulinarische Gaumenschmauß-Erfahrung neben dem Vergnügen Menschen aus anderen Regionen der Welt kennenzulernen, die trotz traumatischer Erlebnissen eine große Herzlichkeit ausstrahlten – wir können nur ermuntern sich selbst zu engagieren, die Ängste abzulegen und mit einer Offenheit auf die Menschen zu zugehen.

Aber natürlich ist es auch unsere Verantwortung, zu schauen wie kann Integration gelingen, wenn man Menschen auf engstem Raum zusammenbringt, wird das verständlicherweise sehr schwer, deshalb schlagen wir auch eine Belegung der maximalen Bewohneranzahl auf die Zahl der vorher vorhandenen genehmigten Pflegeplätze fest. Uns sollte an einer gedeihlichen Nachbarschaft gelegen sein und vor allem die Möglichkeit der in der Geflüchtetenunterkunft lebenden Menschen eine gewisse Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten zu gewährleisten. Natürlich gehören dazu auch gestalterische Maßnahmen im Außenbereich, was Aufenthaltsqualität betrifft, dazu zählen wir Sitzgelegenheit, eine Grillstelle, und die Möglichkeit für Freizeitaktivitäten für jung und alt.

  • Eine Begegnungsstätte für alle, für die Moischter und Neuankommenden Menschen.
  • Ausbau des Nahverkehrs.
  • Schaffung von Infrastruktur natürlich unter Einbeziehung des Vorhandenen (in Moischt, hauptsächlich die Vereine)
  • Aktiven Wegweiser und wenn möglich Begleitung zu Behörden, Ärzten, Vereinen, Schule.

 

Tanja Bauder-Wöhr (DKP), Vorsitzende der Fraktion der „Marburger Linken“ (Foto: privat)

Ganz sicher wird es zu Spannungen und Problemen kommen, aber hören wir doch bitte auf schon im Vorfeld Menschen zu verurteilen, die wir nicht kennen. Die natürlich ganz andere, sehr vermutlich sehr unschönen Erfahrungen mitbringen, da muss vermutlich Vertrauen auf beiden Seiten aufgebaut werden.

Als die Insolvenz des Seniorenheims Waldblick in Moischt bekannt wurde, hat unsere Fraktion u.a. die Stadt Marburg aufgefordert, dieses Haus zu übernehmen, wurde laut Aussagen unserer Stadträtin auch geprüft und als nicht durchführbar eingeschätzt. Jetzt muss sich der hauptamtliche Magistrat aber die Frage gefallen lassen, warum er nicht selbst die Immobilie gekauft hat, was ebenfalls von uns gefordert wurde, dass nämlich würde einen ganz anderen Spielraum zu lassen, was haben uns die Profitintressen der Immobilienbesitzer zu interessieren?! Noch immer ist ein Vorverkaufsrecht möglich, jetzt sicher deutlich kostspieliger, aber im Vergleich zu den scheinbar kurz vor Abschluß stehenden Vertrag und den Summen an hohen Ausgaben, welches einen ungeheuren Gewinn für den Betreiber abwirft, sollte die Stadt im Interesse der Allgemeinheit anders agieren. Dem Geschäft mit Geflüchteten gehört überall ein Riegel vorgeschoben.

Und um es mal ganz deutlich zu sagen, kein einziger Geflüchteter ist Schuld an der verheerenden Infrastruktur Land auf und ab, wenn in diesem Land die Betreuung und Pflege sowie der Gesundheit einen Paradigmenwechsel erfahren hat weg vom Allgemeinwohl hin zum Gewinnabwurf für Aktionäre, dann trägt dafür der Neoliberalismus mit all seinen Auswüchsen die Verantwortung.  Wenn wir keinen vernünftigen Bahnverkehr mehr haben, ja wer hat denn uns das Märchen erzählt privat geht besser? Vor allem für wen besser, wessen Taschen werden denn gefüllt? Und wenn auf dem Wohnungsmarkt Konkurrenz entsteht, und die entsteht, wer ermöglicht denn die Spekulation mit Wohnraum auch in Marburg bis nach Übersee usw. anstatt hier einen Riegel vorzuschieben. Und warum sprechen wir nicht mal ehrlich darüber, warum Spitzensportler, gut bezahlte Künstler, Manager, Bänker und viele mehr die in unserem Land  gefördert wurden und Bildungseinrichtungen bester Güte mal vorgefunden haben in ganz großen Stil Steuerflucht begehen?!

Warum wird das nicht medial aufgegriffen und moralisierend eingebracht, anstatt immer nur auf die Verfehlungen der Ärmsten zu verweisen, die sind verzweifelt wurden ausgespuckt von diesem System. Deshalb gilt für mich und meine Fraktion noch immer „wacht auf Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt…

Schließen möchte ich aber mit den Worten von Papst Franziskus, die hoffnungsvoll stimmen enden:

 

Die Migranten stellen für mich eine besondere Herausforderung dar, weil ich Hirte einer Kirche ohne Grenzen bin, die sich als Mutter aller fühlt. Darum rufe ich die Länder zu einer großherzigen Öffnung auf, die, anstatt die Zerstörung der eigenen Identität zu befürchten, fähig ist, neue kulturelle Synthesen zu schaffen. Wie schön sind die Städte, die das krankhafte Misstrauen überwinden, die anderen mit ihrer Verschiedenheit eingliedern und aus dieser Integration einen Entwicklungsfaktor machen!

Ich   würde   mir wünschen, dass man den Ruf Gottes hörte, der uns alle fragt: » Wo ist dein Bruder? « (Genesis 4,9): Wo ist dein Bruder, der Sklave? Wo ist der, den du jeden Tag umbringst in der kleinen illegalen Fabrik, im Netz der Prostitution, in den Kindern, die du zum Betteln gebrauchst, in dem, der heimlich arbeiten muss, weil er nicht legalisiert ist? Tun wir nicht, als sei alles in Ordnung! Es gibt viele Arten von Mittäterschaft. Die Frage geht alle an! Die Hände vieler triefen von Blut aufgrund einer bequemen, schweigenden Komplizenschaft.

Wir dürfen nicht mehr auf die blinden Kräfte und die unsichtbare Hand des Marktes vertrauen…

Ich bitte Gott, dass die Zahl der Politiker zunimmt, die fähig sind, in einen echten Dialog einzusteigen, der sich wirksam darauf ausrichtet, die tiefen Wurzeln und nicht den äußeren Anschein der Übel unserer Welt zu heilen!

 

Erich Fried:

Ich bin der Sieg
mein Vater war der Krieg
der Friede ist mein lieber Sohn
der gleicht meinem Vater schon