Bericht der MarburgerLinken & Piraten zur Stadtverordnetenversammlung vom 15. November 2024
Im folgenden dokumentieren wir den Bericht der Fraktion MarburgerLinke & Piraten im Stadtparlament der Universitätsstadt Marburg, der auch unsere Genossin und Stadtverordnete Tanja Bauder-Wöhr angehört, zur letzten Stadtverordnetenversammlung vom 14. Juni 2024:
Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld …?
Die Stadt Marburg hat in ihrer letzten Sitzung so einiges an Gebühren erhöht, ob Müll oder Abwasser, ob Strom und Gas, die Stadt und ihre Töchter holen es sich bei ihren Bürgern. Leider ist Marburgs Stadtregierung nicht bereit, die zur Kasse zu bitten, die am meisten aus der Krise profitierten, an erster Stelle ist hier BionTech zu nennen, noch ist sie bereit gewesen Härtefallfonds einzurichten. Wie passend das die erste Aussprache sich gleich mit den Hebesätzen befasste.
Anpassung der Hebesätze in Marburg aufgrund der Grundsteuerreform
Vom Jahr 2025 an darf die alte Grundsteuer nicht mehr erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frist gesetzt, weil die bisherigen Berechnungen auf veralteten Werten fußten. Unsere Fraktion, spricht sich dafür aus, die Grundsteuer B nicht zu erhöhen. Aus unserer Sicht sollte die Stadt Marburg hingegen dringend die Grundsteuer C einführen, um erstens die Boden- und Immobilienspekulation zu erschweren und zweitens die innerstädtischen Baulücken zu schließen, um den dringend benötigten Wohnraum zu realisieren.
Denn die Wohnungsfrage ist und bleibt die soziale Frage, wir sprechen uns klar gegen weitere Belastungen der privaten Haushalte aus.
In den letzten Jahren sind die Belastungen für den überwiegenden Teil der Bevölkerung enorm angestiegen, die allgemeinen Lebenserhaltungskosten bereiten vielen Menschen existentiellen Sorgen, ob Brot oder Heizung, ob Kleidung oder Freizeitaktivitäten die Kosten sind drastisch angestiegen, gleiches gilt für Miete mit den zusätzlich gestiegenen Nebenkosten und Strom. Dabei sind die Reallöhne kaum gestiegen. Diese allgemeinen Kosten werden über alle Bereiche hinweg von der breiten Mehrheit der Bevölkerung getragen. Den Anstieg um 90 Punkten bei der Grundsteuer B kritisiert Tanja Bauder-Wöhr: „Man holt sich das Geld bei der Mitte der Gesellschaft, das ist der falsche Weg.“ Die Immobilien-Neubewertungen hätten viele Eigentümer höher eingruppiert, das werde sich – neben für alle steigende Lebenshaltungs- und Energiekosten – auch auf Miethöhen sowie gebremsten Konsum auswirken. „Bürger können jeden Euro nur einmal ausgeben, und was beim Finanzamt landet, landet nicht im Handel.“ Sie erinnerte an die viele Menschen, die schon jetzt überhaupt keine finanziellen Reserven mehr haben. Die Grundsteuer B zahlen Eigenheimbesitzer wie auch Eigentümer von Mietwohnungen – die diese Steuer dann an in der Regel an die Mieter weiter reichen.
Vermögen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt, dies zeigt auch der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Besonders deutlich wird die Ungleichverteilung am oberen Ende der Vermögenskonzentration: Das reichste Prozent der Bevölkerung verfügt nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) über rund 35 Prozent des Nettovermögens. Deshalb fordern wir die Stadt Marburg auf, sich für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer einzusetzen. Von einer Vermögensteuer betroffen wären nach den gängigen Vorschlägen der Befürworter lediglich die obersten 1 bis 2 Prozent der größten Vermögen Deutschlands.
Deshalb kann die richtige Stellschraube, an der aus unserer Sicht nachjustiert werden muss, nur die Erhöhung der Gewerbesteuer sein. Tatsächlich erhöht die Stadt Marburg geringfügig auf 380 Punkte, das ist trotzdem zu wenig, da sie so noch immer unter dem alten Wert von 400 Punkten bliebe – wir erinnern uns, dass man bereitwillig Steuergeschenke an die Pharmaindustrie in Marburg nach deren Interventionen machte.
Mehr Aufenthaltsqualität in der Liebigstraße
Ein über Wochen künstlich aufgebauschter Aufreger wegen des Wegfalls einiger Parkplätzen in der Liebigstraße durch die CDU/FDP/BfM Fraktion, verdeutlicht deren Uneinsichtigkeit in Hinblick auf notwendige klimatische Anpassungen. Die Liebigstraße ist eine der heißesten in der Innenstadt, vor allem, weil es kaum Bäume und somit Schatten gibt. wie man sich heute noch gegen hitzeregulierende Bäume zugunsten von öden Parkplätzen sperren kann, bleibt unverständlich.
Für uns blickte Roland Böhm etwas genauer in die Historie der Liebigstraße und konnte feststellen: „Es wird Zeit einen längst überfälligen Beschluss von 1986 endlich umzusetzen. Bereits vor 39 Jahren, im Nov. 1985, forderte die StVV den Magistrat auf, ein Konzept zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse im Südviertel vorzulegen. Dazu wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben und nach dessen Vorlage gab es eine Bürgerversammlung. Bei den angenommenen Lösungsvorschlägen für die Liebigstr., ergab sich ein Bild, welches, dem der heutigen Vorlage verdammt ähnelt. Da stellt sich schon die Frage, warum die Menschen 38 Jahre auf die Realisierung dieses Beschlusses durch Magistrat und Verwaltung warten mussten. Wir könnten heute unter 50 Jahre alten Bäumen durch die Liebigstr. bummeln, den Schatten genießen und uns freuen, dem Klimawandel etwas entgegengesetzt zu haben.“ Wollen wir hoffen, der jetzt mehrheitlich gefasste Beschluss gegen die Stimmen der CDU/FDP/BFM wird schnell umgesetzt.
Baugebiete auf Marburgs Rücken – Oberer Rotenberg und Hasenkopf
Die CDU/FDP/BfM befindet sich plötzlich voll auf Ablehnungskurs mit argumentativen Widersprüchen. So hatte die Fraktion kein Problem, die Versiegelung von Ackerboden durch Geschosswohnungsbau zu beklagen und gleichzeitig zu monieren, dass es keine Flächen für Einfamilienhäuser gäbe. Obwohl der heutige und damalige Fraktionsvorsitzende Jens Seipp noch 2019 wie folgt argumentierte: Das am Oberen Rotenberg beschlossene Mini-Wohngebiet ist der CDU zu wenig, sie will eine umgehende Erweiterung des Baugebiets durchsetzen – vor allem, um schneller für mehr Wohnungen in der Stadt zu sorgen. „Gegen hohe und immer weiter steigende Mieten hilft nur mehr Angebot, also das Prinzip bauen, bauen, bauen“. OP 2019.
Dagegen machte Tanja Bauder-Wöhr unsere Position klar: Obwohl wir die Argumente des BUND und der BI Hasenkopf hinsichtlich der wertvollen klimatischen Ressourcen und die Aufenthaltsqualität als Naherholungsgebiet für Tier und Mensch nachvollziehen können, ist die Schaffung bezahlbaren Wohnraums auch weiterhin notwendig. Leider wurde in den letzten Jahrzehnten fast ausschließlich den Privatinvestoren die Stadtentwicklung überlassen. Weitere Argumente für den Entwurf sind, dass die Eingriffe in die Natur auf ein Minimum begrenzt und gleichzeitig viele ökologische, energetische und mobilitätsbezogene Nachhaltigkeitskriterien erfüllt werden. Zentral ist für uns die Festlegung, dass am Hasenkopf bis zu 30 Prozent sozialer Wohnungsbau geplant sind. Zusätzlich nochmals 15% gemeinschaftliches Wohnen – für Alleinerziehende, am oberen Rotenberg. Ebenfalls vorgesehen waren zumindest im Konzept alternative Wohnformen, wie z.B. Tiny-Häuser am Hasenkopf, in all diesen Bereichen ist der Nachholbedarf in Marburg besonders groß.
Mit Ferienwohnraumssatzung Wohnungsraum schützen
Eine Ferienwohnungssatzung schließt Regelungslücken, formuliert klare Bedingungen für eine entsprechende Umnutzung von Wohnraum und schafft somit Klarheit und Sicherheit für alle Beteiligten. Eine gute zusätzliche Möglichkeit dem knappen Wohnraum etwas entgegen zu setzen wie auch wir finden, deshalb unterstützen wir dieses Ansinnen, leider fand es keine Mehrheit und wurde aufgrund zu hohen bürokratischen Aufwands abgelehnt.
Illegales Gehwegparken
Kurios gestaltete sich die Debatte im Bau- & Mobilitätsausschuss um einen Antrag von Die Linke zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bezügl. des Verbots illegalen Parkens auf dem Bürgersteig: Während eine Konzepterstellung zum Umgang mit diesem Gerichtsbeschluss einstimmig befürwortet wurde, lehnte außer uns und den Antragstellern der Rest der Stadtverordnetenversammlung eine direkte Durchsetzung des Urteils (Entfernung der nun illegalen Parkmarkierungen auf den Gehwegen an den betroffenen Stellen) sowie den Start einer Anwohner-Info-Kampagne ab. Gegenargument war u.a., man könne als Stadt ja nicht die Bevölkerung dazu aufrufen ggf. sogar gegen die Stadt zu klagen. Doch kann man. Wir sind sogar der Ansicht, dass man das muss, da es Recht und Gesetz ist. Aber wie üblich beschränkt man sich lieber auf die Erstellung kostenlastiger Konzepte, anstatt direkt in der Sache zu handeln. Kennen wir. Wäre vielleicht mal ein Fall für die Kommunalaufsicht?
Sternstunde rückwärtsgewandter Kommunalpolitik: Ablehnung von Umweltdatensensorik zu den Themen Luftschadstoffe, Lärmbelastung und Fahrzeugzahlen per LoRaWAN
Im Umweltausschuss entbrannte eine seitens der anderen Fraktionen leider weitestgehend wissensbefreite Debatte um Sinn und Zweck der Erhebung von Umweltdaten: Unsere drei sorgfältig ausgearbeiteten Anträge zum Themenkomplex “SmartCity” hatten das Ziel, das von der Stadt in diesem Jahr erstmals testweise in Betrieb genommene LoRaWAN-Sensorfunknetzwerk dazu einzusetzen, kostengünstig und vollautomatisiert kontinuierliche und zeitaufgelöste Informationen über die in Marburg emittierten Luftschadstoffe, den real messbaren (und nicht etwa computersimulierten und somit nicht vertrauenswürdigen) Straßenlärm sowie die in Marburg fahrenden Fahrzeugströme exakt zu kartieren. Herausgekommen ist ein – paradoxer Weise insbesondere auch von Grünen und Klimaliste – zertrampelter Scherbenhaufen. Es wird erneut eine der vermutlich letzten Chancen vergeben, die hessische Landesregierung endlich bezgl. der Stadtautobahn zur Raison zu bringen: Wie oft wurde von der Stadt Marburg in den letzten Jahren vergeblich versucht, zumindest eine Temporeduktion auf der die Stadt zerschneidenden und verlärmenden B3a einzufordern? Stets wurde dieses Ansinnen abgelehnt. Dabei zeigt sogar die neuste, vom Land Hessen selbst durchgeführte Aktualisierung der Lärmkartierung der B3a im Lärmaktionsplan Hessen, dass die zulässigen Grenzwerte seit Jahren eklatant überschritten werden und somit auf der Grundlage des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung dringender Handlungsbedarf geboten ist. Schon 2010 wies unser Fraktionsmitglied, Dr. Michael Weber (Piratenpartei), darüber hinaus in einem Schreiben an den Umweltausschuss auf Grundlage einer eigens durchgeführten Auswertung der landeseigenen Luftmessstellendaten in der Universitätsstraße darauf hin, dass auch die zulässigen Luftschadstoffgrenzwerte ständig überschritten werden. Keine Reaktion.
Gerade wird in der Marburger Stadtgesellschaft intensiv über die Verkehrssituation diskutiert, seien das die mit den anstehenden Bauvorhaben am oberen Rotenberg (Tegut) oder am Hasenkopf verbundenen Verkehrsströme oder der Berufstransitverkehr von und zu den Behringwerken bzw. Görzhäuser Hof in der Marbach: Unsere Anträge hätten auf der Basis sauber geeichter Funkmessinstrumente eine solide Datengrundlage zur Unterfütterung notwendiger Anpassungen liefern können – bis hin zu einer Klage durch die Deutsche Umwelthilfe, um im Sinne und zum Gesundheitsschutz der Marburger Bevölkerung endlich Fortschritte zu erzielen. Dieses Projekt haben Grüne und selbsternannte Klimatologen mit ihrem Votum nachhaltig sabotiert.
Erfreuliche Nachrichten im Fall Serhat Ürküp
Wir erinnern uns an die einstimmige gemeinsame Resolution der StVV aus dem Juni diesen Jahres: „Wir sprechen uns mit diesem Antrag klar gegen die Entscheidung der Landesregierung zur Abschiebung aus und wollen deutlich machen: Hervorragende schulische Leistungen, Integrationswillen und eine Lehrstelle dürfen kein Aufnahmehemmnis sein – Ausbildung ist wichtiger als Abschiebung!“ so begründete die Stadtverordnetenvorsteherin Elke Neuwohner den gemeinsamen Antrag aller Stadtverordneten.
Nun erreicht uns die erfreuliche Nachricht, dass die Einreisesperre gegen Serhat Ürküp durch Bescheid rechtskräftig aufgehoben ist. Das BAMF hat zugestimmt, Serhat kann jetzt offiziell ein Visum zum Zweck der Einreise beantragen.
Ohne den unermüdlichen Einsatz durch Kurt Bunke, aktiv in der Flüchtlingshilfe Cölbe und im Landkreis, wäre das nicht möglich gewesen. Durch die Vernetzung, vieler wertvoller Arbeit auf der politischen Ebene, wie auch auf der rechtlichen ist das fast unmögliche, möglich geworden – vielen Dank!
Tanja Bauder-Wöhr, Roland Böhm, Anja Kerstin Meier-Lercher, Inge Sturm, Dr. Michael Weber
Unsere Stadtverordnete Tanja Bauder-Wöhr spricht bei der 8. Mai-Feier in Marburg anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus.