“Große Schuhe” – Artikel von Georg Fülberth anlässlich de Bundestags-Wahlkandidatur der DKP

“Große Schuhe” – Artikel von Georg Fülberth anlässlich de Bundestags-Wahlkandidatur der DKP

Wir verweisen an dieser Stelle sehr gerne auf den Artikel “Große Schuhe” von Georg Fülberth, der im aktuellen Heft der Monatszeitschrift Konkret (Nr. 09/2021) erschienen ist.

Große Schuhe
Die DKP ist nun doch zur Bundestagswahl zugelassen

von Georg Fülberth

Mir scheint, wenn die Partei besiegt
Und todeswund am Boden liegt,
Stehn meist zwölf dumme Jahre
dem Vaterland bevor.

(Peter Hacks)

Die Rettung des liberalen Systems

 Am 8. Juli 2021 lehnte der Bundeswahlausschuss die Zulassung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) zur Wahl am 26. September ab, da sie mehrere Jahre hintereinander ihre Rechenschaftsberichte verspätet eingereicht habe. Mit dieser Entscheidung wurde ihr die Parteieigenschaft im Sinne des Parteiengesetzes abgesprochen. Damit drohten ihr zwei Nachteile.

Erstens: Eine Partei kann nur durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden, nicht – wie irgendein Verein – durch den Innenminister. War die DKP keine Partei mehr, entfiel dieser Schutz. Anders als 1956, als die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) vom Bundesverfassungsgericht verboten worden war, war für sie von diesem jetzt nichts mehr zu befürchten. 2017 hatte es ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) abgelehnt: „wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele“. Diese Unbedenklichkeitsbescheinigung wegen Bedeutungslosigkeit kann auch die DKP für sich geltend machen: 2013 hatte sie 0,0 Prozent der Stimmen erhalten, die NPD immerhin 1,3 (2017: 0,4). Hätte der Beschluss des Bundeswahlausschusses Bestand gehabt, könnte sie, wenn es dem Innenminister beliebt, problemlos verboten werden.

Zweitens: Spenden und Beiträge von Parteien werden vom Finanzamt zur Hälfte zurückerstattet. Für gemeinnützige Vereine ist der Satz geringer, und eine solche Gemeinnützigkeit würde der DKP nie erteilt werden. Ohne formelle Parteieigenschaft war zu erwarten, dass ihr Beitrags- und Spendenaufkommen zurückging.

Vorsitzender des Bundeswahlausschusses ist der Präsident des Statistischen Bundesamts, zurzeit Dr. Georg Thiel.  Das Gremium besteht aus ihm, zwei Richtern des Bundesverwaltungsgerichts und acht Beisitzern. Letztere werden von den Parteien nach der Reihenfolge ihres Stimmenanteils bei der letzten Bundestagswahl berufen. An der Sitzung vom 8. Juli nahm Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer Partei DIE LINKE und deren Vertreter im Wahlausschuss, nicht teil. Statt seiner kam eine ihm nachgeordnete Partei-Angestellte. Offenbar kurzfristig eingesprungen und somit unvorbereitet stimmte auch sie für die Nichtzulassung der DKP. Nur ein Mitglied des Gremiums war dagegen: der Rechtsanwalt Hartmut Geil, den die Grünen entsandt hatten.

Die DKP klagte vor dem Bundesverfassungsgericht. Dieses befand am 27. Juli:

„1. Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vom 8. Juli 2021 wird aufgehoben.

2. Die Beschwerdeführerin wird als wahlvorschlagsberechtigte Partei zur Wahl des 20. Deutschen Bundestages anerkannt.“

Das Gericht folgte auch mit diesem Urteil einem seit Jahrzehnten von ihm befolgten Muster: Im Großen klein, im Kleinen groß. Soll heißen: Geht es um bedeutende Staatsaffären – Beispiel: Auslandseinsätze der Bundeswehr–, trägt es den Interessen der Regierung (wenngleich zuweilen mit ein paar Ermahnungen) Rechnung. Handelt es sich um Einzelbeschwerden von Bürgerinnen und Bürgern oder auch um – politisch gesehen – Bagatellangelegenheiten, lässt es größere Sorgfalt walten und erhöht damit in einer Art Vorratshaltung zugleich seine Autorität in den Fällen, bei denen es der Staatsräson Vorrang gibt.

Der Unterschied lässt sich am Beispiel des vom Bundesverfassungsgericht 1956 ausgesprochenen KPD-Verbots zeigen: 1951 war dies von der Regierung Adenauer beantragt worden. Aus deren Sicht ging es damals um viel: Gegen ihre Wiederbewaffnungspläne wandte sich eine starke Protestbewegung, in der die KPD mobilisierend aktiv war. Also sollte diese ausgeschaltet werden. Die Sache zog sich allerdings etwas hin, 1955 trat die BRD der NATO bei, die KPD hatte inzwischen stark an Einfluss verloren. Zwischendurch fragte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Bonn nach, ob man das Verfahren nicht doch lieber im Sand verlaufen lassen sollte. Adenauer blieb stur, und Karlsruhe parierte.

2017 hat der Historiker Josef Foschepoth nachgewiesen, dass damals Regierung und Gericht unter Verletzung der Gewaltenteilung eng zusammengearbeitet haben, um gemeinsam das Gewünschte zu bewerkstelligen. Er kam zu dem Ergebnis, dass damals vielleicht nicht die KPD, wohl aber Regierung und Gericht verfassungswidrig gehandelt haben. Sein Buch, erschienen bei Vandenhoek & Ruprecht in Göttingen, hat den Titel: „Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg“.

Denkbar ist aber auch, dass das Bundesverfassungsgericht selbst im vorliegenden Fall Opportunitätsgesichtspunkte berücksichtigte. Nehmen wir einmal an, es hätte den Einspruch der DKP verworfen, diese hätte sich an den Europäischen Gerichtshof gewandt und dort recht bekommen. Was sollte dann aus der Bundestagswahl am 26. September werden? Zustände wie in Österreich? Dort hatte 2016 die Wahl des Bundespräsidenten wiederholt werden müssen.

Doch halten wir uns ans Grundsätzliche:

1963, als er noch bei Trost war, veröffentlichte der Historiker Ernst Nolte sein Buch „Der Faschismus in seiner Epoche“. Dort führte er aus: Werde das liberale System (sagen wir es deutlicher: der Kapitalismus) durch den Kommunismus bedroht, wehre es sich mit Hilfe des Faschismus. Damit gebe es aber seine Werte und (in idealistischer Wahrnehmung) sich selbst auf. Im Umkehrschluss kann gefolgert werden: Fühle es sich stark, könne es großzügig = liberal sein. So war es jetzt: Die DKP, eine quantité négligeable, durfte geschont werden, das liberale System klopfte sich selbst auf die Schulter.

Der Dr. Thiel vom Bundeswahlausschuss bekam also einen Nasenstüber. Ein solcher wäre auch einigen Finanz- und Innenministern sowie dem Verfassungsschutz zu gönnen. Die führen sich seit einiger Zeit besonders merkwürdig auf. ATTAC und zeitweilig auch der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN – BdA) wurde die Gemeinnützigkeit aberkannt. Auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag nach den Gründen für die Überwachung der Tageszeitung „junge Welt“ durch den Verfassungsschutz antwortete die Bundesregierung mit Behauptungen und Wertungen aus den tiefsten Verliesen des Kalten Kriegs. Um eine Konzertierte Aktion handelt es sich wohl nicht, sondern um die Wurstigkeit von Amtswebeln, die wohl der Ansicht sind, gegenüber schwachen Linken dürften sie sich alles erlauben. Das Bundesverfassungsgericht scheint offenbar der Ansicht zu sein, dies sei Deutschlands, das doch eine moralische Weltmacht sein will, unwürdig.

Angelpunkt seines Urteils ist Artikel 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Daraus schließt das Gericht, es komme „darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei – unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens – den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt.“ Für die DKP sei dies aufgrund ihres Organisationsaufwandes und ihrer Aktivitäten, darunter ihrer Publizistik, und ihrer häufigen Beteiligung an Wahlen zu bejahen. Die ständige Verspätung beim Einreichen ihrer Rechenschaftsberichte könne innerhalb einer „Gesamtwürdigung“ nicht ausreichend dafür sein, ihr die Parteieigenschaft abzusprechen.

Der Zustand der DKP

Nach der Willkürentscheidung des Bundeswahlausschusses gab es eindrucksvolle Solidaritätsbekundungen für die angegriffene Partei, darunter von Dietmar Dath, Horst Schmitthenner (einem früheren Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der IG Metall), Ulla Jelpke und Hans Modrow. Ihre Besorgnis galt nicht nur dieser Organisation, sondern auch der Beschaffenheit eines kapitalistischen Landes ohne kommunistische Gegenkraft.

Hoffentlich begreift die DKP die Verantwortung, die sie dadurch hat. Anlass zum Triumphieren hat sie nicht. Ihren Kurs hat sie noch immer nicht gefunden. Zwischen Anlehnungsbedürfnis an die Partei „Die Linke“ und der Gefahr der Selbstisolierung schlingert sie hin und her.

Diesem Gewackel ist es wohl auch zuzuschreiben, dass die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) mit ihren ca. 2.800 Genossinnen und Genossen bei Wahlen anders dasteht als sie. 2017 reichte sie Listen in allen 16 Bundesländern ein und erhielt 29.551 Zweitstimmen. Die DKP, deren Mitgliederzahl mit 2850 angegeben wird, schaffte nur neun Wahlvorschläge und kam folglich auf ein deutlich niedrigeres Ergebnis:11.713.

Ihr Vorsitzender, der verdienstvolle (wer diesen freudearmen Job unentgeltlich macht, ist zu loben) Patrik Köbele, nannte die Nichtzulassung zur Wahl ein „kaltes Parteiverbot“ und verglich sie mit der Zerschlagung der KPD 1933. Das ist nicht angemessen. Anders als im Faschismus hätte die DKP auch ohne Gerichtsurteil sehr schnell ihre Parteieigenschaft im Sinne des Parteiengesetzes wiederherstellen können: indem sie bei der nächsten Wahl wieder angetreten wäre, jetzt mit fristgerechter Vorlage des Rechenschaftsberichts. Dass dieser jahrelang nur verspätet eingereicht wurde, sollte ja nun wirklich Anlass zur Selbstkritik sein. Gleiches gilt für die Tatsache, dass die Deutsche Kommunistische Partei nicht von ihrem Recht Gebrauch machte, einen Vertreter oder eine Vertreterin zur Sitzung des Wahlausschusses zu schicken.

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und den Solidaritätsbekundungen wurden der DKP ziemlich große Stiefel vor die Tür gestellt: Mitwirkung bei der politischen Willensbildung. Hoffen wir, dass sie in diesem Schuhwerk bald besser gehen lernt.