Industrie 4.0 – eine sozialistische Erfindung aus dem Chile der frühen 1970er Jahre? – Artikel aus dem Marburger Echo von Christian Mark

Industrie 4.0 – eine sozialistische Erfindung aus dem Chile der frühen 1970er Jahre? – Artikel aus dem Marburger Echo von Christian Mark

An folgender Stelle dokumentieren wir einen Artikel aus dem Marburger Echo 01/2019 zum Thema “Industrie 4.0 – eine sozialistische Erfindung aus dem Chile der frühen 1970er Jahre?” von Christian Mark.

In diesem Zusammenhang möchten wir zum einen auf das im Jahre 2012 erschienene Buch “Alternativen aus dem Rechner – Für sozialistische Planung und direkte Demokratievon Paul W. Chockshott sowie auf eine empfehlenswerte 2-teilige Radiosendung des Deutschlandfunks über das projekt cybersyn in chile 1969 hinweisen.

Industrie 4.0 – eine sozialistische Erfindung aus dem Chile der frühen 1970er Jahre?
(von Christian Mark)

Dem Buch „Alternativen aus dem Rechner“ von Cockshott/Cotrell1 verdanken wir den Hinweis auf ein Experiment beim Aufbau einer sozialistischen Planwirtschaft: Das Cybersyn-Projekt (spanisch: Proyecto Synco) im Chile des 1969 gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende.

Hierbei handelte es sich um ein Netzwerk von Fernschreibern aus den wichtigsten Produktions- und Vertriebsbereichen des Landes, verknüpft mit einem Zentralrechner (IBM 360/50) in der Hauptstadt Santiago de Chile. Mehrmals täglich trafen – übrigens größtenteils über Mikrowellen gefunkt – in der Zentrale Wirtschaftsdaten ein, die mittels genanntem Computer aufbereitet und von Fachpersonal visualisiert wurden. Auf Leinwände projiziert waren sie Grundlage für minutenschnelle Entscheidungen zur Lenkung der wichtigsten Wirtschaftsbereiche: Energie, Kupfer, Stahl, Petrochemie, Fischfang und Transport.

Dieses hoch interessante Projekt wurde vom Informatiker Fernando Flores geleitet, der sich Hilfe und Anregung vom britischen Kybernetiker Stafford Beer holte. Beer hatte bereits 1959 mit seinem Bestseller „Kybernetik und Management“2 einen Weg zu einer echten Planwirtschaft aufgezeigt. Seine Leistungsfähigkeit stellte das Cybersyn-Projekt unter Beweis, als der USA-Geheimdienst CIA die Transportarbeiter Chiles zu Massenstreiks aufstachelte. Die sozialistische Allende-Regierung konnte 200 loyale LKW-Fahrer organisieren, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

Das chilenische Cybersyn-Projekt3 scheiterte nicht an seiner Unzulänglichkeit, genauso wenig wie der chilenische Plansozialismus. Beide wurden von roher militärischer Gewalt zerstört: Am 11. September 1973 putschte das Militär unter General Pinochet und beendete das sozialistische und mithin das kybernetische Experiment. Der vom Volk gewählte Präsident Allende wurde in den Tod getrieben und der Informatiker Fernando Flores und seine Arbeitsgruppe wurden gefangen genommen, gefoltert und verbannt. Die technischen Mittel von Cybersyn wurden von Panzern zermalmt.

Anm.:
1 Cockshott, W. Paul; Cottrell, Allin: Alternativen aus dem Rechner – Für sozialistische Planung und direkte Demokratie, PapyRossa Verlag, 2012

2 Stafford Beer, Kybernetik und Management, Frankfurt Main (Fischer) 1959

3 Die Darstellung des Projekts durch Stafford Beer aus dem Jahr 1973 kann als elektronisches Buch z.B. hier frei geladen werden: ada.evergreen.edu/~arunc/texts/cybernetics/Platform/platform.pdf