An folgender Stelle dokumentieren wir die Rede unserer Stadtverordneten, Tanja Bauder-Wöhr, im Stadtparlament zum Thema “Bebauung Hasenkopf”.
Kommunales: Redebeitrag zur Bebauung Hasenkopf!
(von Tanja Bauder-Wöhr)
Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Gäste,
Vorwegschicken möchte ich ein paar allgemeine Betrachtungen auf die Wohnentwicklung in Marburg in den vergangenen Jahren. Nicht nur in Marburg, aber eben auch in unserer Stadt ist in den letzten 25 Jahren zu beobachten, dass aufgrund von Kosteneinsparungen eine wichtige kommunale Aufgabe freiwillig aus der Hand gegeben wurde, nämlich die städtebauliche Planung – die u.a. Wohnungsneubau und Stadtgestaltung zur Aufgabe hat. Gerade dieses große Feld wurde den privaten Investoren, an erster Stelle ist hier Schreyer und Schreyer (S+S Grundbesitz GmbH) zu nennen, überlassen. Diesen geht es nicht um bedarfsorientiertes Wohnen – sondern um ihre eigenen Gewinne. Beispielsweise im Marburger Norden. Dort wurde ein kompletter Stadtteil durch oben erwähnten heimischen Privatinvestor umgestaltet. Der Vermarktungserfolg spielt S+S beträchtliche Erträge in seine Taschen. Oder jetzt in Marburgs Süden rund um das Temmler-Areal und Molkerei, auch hier baut hauptsächlich der Privatinvestor S+S.
Doch endlich schien ein Umdenken auch in Marburg stattzufinden. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft GeWoBau (Gemeinnützige Wohnungsbau GmbH), wurde beauftragt, neuen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Stadt hat in den zurückliegenden Jahren eigene und externe Studien in Auftrag gegeben, den Wohnraumbedarf zu ermitteln. Die Analyse erklärte im geförderten Wohnungsbau 800 Wohneinheiten als notwendig. Laut Regionalrahmenplan Mittelhessen sind für Marburg zwei potenzielle Entwicklungsgebiete vorgegeben, einmal der Hasenkopf, in Ockershausen/ Stadtwald gelegen, und der Rotenberg, zur Marbach zählend. Bei einer ersten städtischen Auftaktveranstaltung im Rahmen der Bürgerbeteiligung wurde schnell deutlich, dass vor allem die Marbacher/innen gegen eine Bebauung mobil machten. Es wurden „sozialen Wohnklötze“ befürchtet. Als weiterer Einwand gegen eine Bebauung wird die Gefahr eines Verkehrskollapses angeführt. Anstatt eine Verhinderungspolitik zu betreiben, sollte die Chance genutzt werden, bei Erschließung eines neuen Wohngebietes mit Anreizen zu werben, wie attraktivem ÖPNV, Carsharing, Park und Ride Parkplätzen und Jobtickets für die vielen Beschäftigten der in Marbach zahlreichen Behring-Nachfolgefirmen. Der Stadtteil Marbach in Marburg ist geprägt durch Einfamilienhäuser. Jetzt bietet sich die Chance der Quartiersdurchmischung, indem endlich einmal nicht nur in den immer gleichen Stadtteilen öffentlich geförderter Wohnraum entsteht. Meines Erachtens nach bietet sich dieses Wohngebiet an, gerade im Bereich geförderten Wohnraum attraktive Wohnformen, welche sich ebenfalls ins Stadtbild einschmiegen, zu schaffen. Gemeinsam mit der guten Marbacher Nachbarschaft, der gewachsenen Infrastruktur und der GeWoBau kann hier Nachhaltiges erreicht werden. Gewiss entsteht bei einer Erweiterung des Quartiers auch die Notwendigkeit, neue Ruheoasen in der Natur und Begegnungsstätten zu schaffen. Eine schlechte Lösung wäre es, wenn die bisherige Polarisierung fortgesetzt würde: hier Ein- und Zweifamilienhäuser am Rotenberg, dort sozialer Wohnungsbau am Hasenkopf. Erschließung in Marbach sollte nicht zur Spekulation auf private Gewinnerzielung führen! Die Universitätsstadt Marburg belegt bei den Mietpreisen einen Spitzenplatz in Hessen. Anstatt, wie in der Vergangenheit geschehen, Privatinvestoren den roten Teppich auszurollen und städtisches Land an selbige zu verkaufen, sollte die Stadt endlich wieder eigenen Boden erwerben, um dieser Entwicklung entgegenzutreten. – Sie braucht es!
Tanja Bauder-Wöhr (DKP), Vorsitzende der Fraktion der „Marburger Linken“ (Foto: privat)
Es war uns wichtig nochmal zu verdeutlichen, dass wir uns für ein größeres Baugebiet am oberen Rotenberg ausgesprochen haben, für das es aber keine parlamentarische Mehrheit gab. Weitere Argumente für diese Baugebiete sind neben dem dringend benötigten sozialen Wohnungsbau die breite Bürgerbeteiligung, der vorgelegte Entwurf, der die Eingriffe in die Natur auf ein Minimum begrenzt und gleichzeitig viele ökologische, energetische und mobilitätsbezogene Nachhaltigkeitskriterien erfüllt. Zentral ist für uns die Festlegung, dass am Hasenkopf bis zu 30 Prozent sozialer Wohnungsbau geplant sind. Zusätzlich nochmals 15% gemeinschaftliches Wohnen – für Alleinerziehende. Ebenfalls sollen alternative Wohnformen zum Zuge kommen, Tiny-Häuser und ggf. Platz für die Bewohner:innen des Wagenplatzes. In all diesen Bereichen ist der Nachholbedarf in Marburg besonders groß. Kritisch sehen wir allerdings, dass die städtische GeWobau als Trägerin des sozialen Wohnungsbaus Quadratmeterpreise von 7 bis 10 Euro anstrebt, die für Menschen mit niedrigen Einkommen immer noch zu hoch sind. Eine Stadt wie Wien hat beschlossen, dass 2/3 aller neu entstehenden Wohnungen nicht mehr als 5 Euro kalt pro Quadratmeter kosten dürften. Besonders wichtig neben der Bezahlbarkeit ist uns auf einen Modellcharakter in Bezug auf Landschaftspflege, soziale Architektur, Infrastruktur und Verkehr zu achten. Manches findet sich beim Siegerentwurf Hasenkopf wieder. Auch in Ockershausen selbst finden wir in der Straße Gemoll sozialen Wohnungsbau, zusätzlich entstehen hier Wohnungen für obdachlose Frauen.
Um ganz ehrlich zu sein, als ich das erste Mal hörte Marburgs Rücken soll bebaut werden, dachte ich, dies darf nicht passieren, ein Naherholungsgebiet zum Ausspannen mit fantastischem Blick in alle Richtungen, ein ökologischer Ort für viele Tiere, ein wunderbarer Fleck Natur! Aber eben auch, aufgrund der viel zu langen verfehlten Baupolitik die Bedarfe für Menschen die verzweifelt nach bezahlbarem Wohnen suchen – die städtischen Studien, InWiS und Wohnraumversorgungskonzept MR, zeigen deutlichen Handlungsbedarf auf, fertig gestellt bereits 2015, also vor der sog. ersten Flüchtlingswelle (2015) und vor allem vor der jetzigen Krise mit neuen Menschen die vor Krieg fliehen und gleichzeitig explodierenden Preisen und immer teurer werdenden Mieten und Energiekosten. Von Anfang an also eine Abwägungsgeschichte, auf dringenden Handlungsfeldern auf allen Gebieten.
Ungelöst aus unserer Sicht die Verkehrsfrage. Zudem sind die Verdichtungsmöglichkeiten im Kernstadtbereich praktische erschöpft, auch hier möchten Anwohner:innen noch ein wenig Grün und Frischluft. Allerdings haben wir uns schon seit mehreren Jahren dafür ausgesprochen, dass für die Stadt Marburg ein Leerstands- und Freiflächenkataster erstellt wird, um auch hier noch mögliche Potenziale zu nutzen. An dieser Stelle sei an folgende Idee erinnert, die aus meiner Sicht zu leichtfertig aus der Hand gegeben wurde – nämlich die Untertunnelung der Stadtautobahn, um die Entwicklung von innerstädtischen Bau- und Grünflächen zurückzugewinnen. Bisher wurde die Chance auf eine Umgestaltung eines neuen Innenstadtviertel vertan, in der neue Freizeitflächen zur Erholung im Grünen entstehen könnten, vor allem aber so dringend benötigter neuer bezahlbarer Wohnraum!