Kommentar von Georg Fülberth (DKP) zur OB-Wahl in Marburg
Zwischenruf von draußen
von Georg Fülberth
Es gibt Leute, die finden, Jan Schalauske sei nicht nur der zweitjüngste, sondern auch der intelligenteste und authentischste, kurzum: der beste Oberbürgermeister-Kandidat, aber er werde nicht gewinnen. Deshalb sei eine Stimme für ihn eine verlorene Stimme und man solle sich lieber für den Bewerber der SPD oder der CDU entscheiden. Und da die Christdemokraten in Hessen so viel Bockmist gemacht haben (und weiter machen), müsse man halt Dr. Thomas Spies wählen.
So oder ähnlich haben 2011 wohl ziemlich viele Anhängerinnen und Anhänger der Grünen gedacht: Sie liefen gleich im ersten Wahlgang zu Egon Vaupel über und fielen ihrem eigenen Kandidaten, dem liebenswürdigen und verdienstvollen Bürgermeister Dr. Franz Kahle, ziemlich übel in den Rücken. Dieses Schicksal dürfte diesmal Dr. Elke Neuwohner ereilen.
Die Wählerinnen und Wähler der „Marburger Linken“ und überhaupt alle Menschen, für die eine vernünftige Politik erst diesseits von CDU, SPD, Grünen beginnt, werden nicht so blöd sein.
Das hat unter anderem auch damit zu tun, dass sie gegenüber dem Kandidaten Dr. Thomas Spies begründete Vorbehalte haben.
Er ist gewiss kein schlechter Mensch, mit Sicherheit ein guter Arzt und überhaupt fast schon ein netter Kerl. Nur als Politiker – und den darf man eben nicht mit dem Menschen, dem Arzt und dem annähernd netten Kerl verwechseln – schleppt er seit einigen Jahren doch ein eine immer größer werdende Zahl von Fragezeichen hinter sich her.
2011/2012 gehörte er zu denjenigen, die vernünftigerweise für eine Rückführung des Universitätsklinikums in Öffentliches Eigentum eintraten. Im Vorfeld der Hessischen Landtagswahl 2013 war er in diesem Punkt deutlich stiller. Er wurde als künftiger Sozialminister gehandelt, wäre als solcher auch für Gesundheitspolitik zuständig gewesen und hätte dann das umsetzen müssen, was er vorher propagiert hatte. Nachdem aus den Wiesbadener Plänen nichts geworden ist und seit er sich für das Amt des Oberbürgermeisters bewirbt, schlägt er wieder eine Form des öffentlichen Eigentums für das Klinikum vor. Das sind irgendwie ein paar Wendungen zu viel.
Die politischen Entscheidungen darüber, was aus dem Klinikum wird, fallen im Hessischen Landtag. Genau dieses Parlament will Dr. Spies aber jetzt verlassen. Wie ernst war es ihm mit dem Kampf fürs Klinikum?
Er hat die Einführung der Schuldenbremse befürwortet. Dies begründete er mit einem linken Argument: wenn die Steuereinnahmen gesteigert würden, sei eine solche Schuldenbremse ja ungefährlich, denn das Land müsse dann ja gar keine Schulden mehr machen. Dabei „vergisst“ er, dass eine solche Politik, die die Reichen stärker zur Kasse bittet, mit der SPD nicht zu machen ist. Unter deren Kanzler Gerhard Schröder und im Bündnis mit den Grünen ist der Spitzensatz der Einkommensteuer kräftig gesenkt worden. Und erst in der Großen Koalition ausgerechnet mit CDU und CSU ist er wieder ein wenig angehoben worden, aber nicht mehr auf den alten Stand unter Helmut Kohl. Die Finanzpolitik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bestimmen nicht Thomas Spies und Ralf Stegner, die nur links blinken dürfen, während der Kurs unverändert bleibt. Sie sind die Honigfallen der SPD.
Dies alles bedeutet allerdings nicht, dass Thomas Spies für das Amt, um das er sich jetzt bewirbt, ungeeignet wäre. Wahrscheinlich wird er, falls er irgendwann einmal gewählt werden sollte ein ganz erträglicher Oberbürgermeister sein, wenngleich gewiss ein nicht so guter wie Egon Vaupel oder der sachliche und bescheidene Matthias Acker.
Meiner Meinung nach sollte er aber nicht schon im ersten Wahlgang gewählt werden. Das wären unverdiente Vorschuss-Lorbeeren. Dr. Spies könnte so zu dem Irrtum verführt werden, durch seine schnelle Wahl werde seine bisherige – in einigen Punkten, wie gezeigt, doch nicht sehr überzeugende – Politik honoriert. Kommt er (falls überhaupt) erst im zweiten Wahlgang ins Amt, ist er gewarnt und weiß, dass er sich erst noch anstrengen muss.
Viel wichtiger als die Entscheidung, wer Oberbürgermeister wird, ist eine andere Frage, nämlich: Welche Politik wird künftig in Marburg gemacht? Die Erfahrung zeigt: dies hängt nicht so sehr von der Chef-Nase im Rathaus ab, sondern von der Stärke der Kräfte links von ihr. Von den Verbesserungen beim Stadtpass bis zur kürzlich nach langem Ach und Krach doch noch (wenngleich immer noch zu geringen) Anhebung der Gewerbesteuer: immer waren es Vorschläge der „Marburger Linken“, die zunächst von allen anderen Parteien abgelehnt wurden und schließlich mit Verzögerung doch angenommen werden mussten, weil es einfach nicht anders geht. Hier ein fast schon lustiges weiteres Beispiel: Als die „Marburger Linke“ 2010 die Untertunnelung der Stadtautobahn vorschlug, wurde sie ausgelacht. Inzwischen sind alle anderen Fraktionen ebenfalls dafür.
Jan Schalauske steht auch als Person für dieses ständige Bohren harter Bretter, das die „Marburger Linke“ seit vielen Jahren betreibt. Die harten Bretter sind die Bretter vor dem Kopf der anderen Parteien in der Stadtverordnetenversammlung. An der Tatsache, dass Schalauske und seine Mannschaft diese Hindernisse immer wieder einmal überwinden konnten, zeigt sich die Wahrheit eines alten Spruchs des einstigen SPD-Politikers Carlo Schmid: „Die Opposition ist der andere Beweger der Politik“. Und das sollte am 14. Juni sichtbar werden.
Jetzt höre ich einige ängstliche sozialdemokratische Gemüter, die warnen: Wenn die immer zahlreicher werdenden Schalauske-Fans diesen auch wählen, dann fehlten ihrem heißgeliebten Tommy Spies vielleicht so viele Stimmen, dass Herr Bamberger (CDU) Oberbürgermeister wird.
Das ist Panikmache vom SPD-Wahlmanagement. Aufgrund der stabilen – wenngleich nur rechnerischen – rot-rot-grünen Wählermehrheit in Marburg hat Herr Bamberger null Chance, im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit zu bekommen. Und im zweiten Wahlgang muss Herr Dr. Spies sich eben konkret etwas einfallen lassen, damit ihm die Schalauske-Wähler(innen) ihre Stimme geben. Mal sehen, wie er das hinkriegt.
Der zweite Wahlgang ist der langweiligere. Da wird ja nur über eine Person abgestimmt. Der erste Wahlgang ist der interessantere, denn er ist der Richtungs-Wahlgang. Hier zeigt sich die reale Stärke der einzelnen politischen Strömungen in der Stadt, einschließlich der Opposition. Über das Stimmungsbild, das sich daraus ergibt, wird sich der (oder die) im zweiten Wahlgang schließlich Gewählte nicht so leicht hinwegsetzen können, oder er bekommt auf längere Sicht ziemlich viel Ärger.
Also: Falls Sie der völlig zutreffenden Ansicht sind, dass Jan Schalauske der beste Kandidat ist, dann wählen Sie ihn doch einfach im ersten Wahlgang. Kommt er sehr überraschend in die Stichwahl, dann wählen Sie ihn eben noch einmal. Schafft er es nicht, dann wählen Sie meinetwegen das übrig gebliebene kleinere Übel. Oder lassen Sie es bleiben. Da passiert nicht mehr viel.
Warum?
Hier ist die Antwort:
Als Günther Oettinger Ministerpräsident von Baden-Württemberg war, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland“, dieses Bundesland sei so stabil, dass auch eine Niete an seiner Spitze es nicht ruinieren könne.
Ähnlich äußerte sich der Historiker Eric Hobsbawm einst über die Vereinigten Staaten von Amerika und George W. Bush.
Und ebenso ist es mit der kerngesunden Universitätsstadt Marburg, zumal auch die zweitbesten Kandidat(inn)en, obwohl sie weit hinter dem eindeutig besten – Jan Schalauske – zurückbleiben, immerhin nicht solche Nieten sind wie Oettinger, Mappus, Winfried Kretschmann oder George W. Bush. So viel Gerechtigkeit muss sein.
Eine gekürzte Version ist im Infoblatt Paroli erschienen.