Schriftzug “Wählt Thälmann” seit 1932 in Marburg – Artikel von Eren Gültekin über eine interessante Entdeckung am Markplatz
Wir veröffentlichen an dieser Stelle sehr gerne den Artikel “Schriftzug „Wählt Thälmann“ seit 1932” des Genossen Eren Gültekin von der DIDF-Jugend Marburg, den dieser für die Deutsch-Türkische Zeitung Neues Leben YeniHayat geschrieben hat.
Schriftzug “Wählt Thälmann” seit 1932
von Eren Gültekin
Sicherlich kennen wir es alle: Man läuft fast täglich an der selben Straße entlang und entdeckt etwas Neues, obwohl es schon immer da war und man so oft schon daran vorbei gelaufen ist. Nur hat man es bisher nie wirklich wahrgenommen. Sei es eine kleine unauffällige Boutique oder eine Tür, in ein Café führt, was das Potential zum Lieblingscafé besitzt. Genau solch eine Entdeckung habe ich vor kurzem, dank eines Freundes gemacht, als wir uns am Marburger Marktplatz verabredet hatten. Nur war es jetzt kein Geschäft oder Café, sondern ein Schriftzug. An einem Ort, an dem ich regelmässig vorbeilaufe. Mein Freund, mit dem ich mich an dem Abend traf, erzählte mir: „Wusstest du, dass es hier ein Graffiti mit der Aufschrift „Wählt Thälmann“ gibt, das all die Jahrzehnte überlebt hat und heute noch gut zu erkennen ist?“ fragte er mich. Er selbst hatte es auf einem antifaschistischen Stadtrundgang erfahren. Für mich selbst war es sehr faszinierend, als ich es selbst mit meinen eigenen Augen sah. Direkt vor meiner Nase unbemerkt. Wenn ich mir vorstelle, wie oft ich schon hier vorbei lief, ohne es zu bemerken. An einer Hauswand am Marktplatz neben dem Eingang des Restaurants Market.
KPD Wahl-Slogan überlebte Nazi Deutschland
Ich war so begeistert von dieser Entdeckung, dass ich sofort anfing, mehr über dieses Graffiti und dessen Geschichte herauszufinden. Demnach sei es das ältestes Graffiti Marburgs, das dazu dienen sollte, um bei den Wahlen zum Reichspräsidenten 1932 für Thälmann Werbung zu machen. Eine Art Wahlplakat-Slogan, das 88 Jahre lang unbeschädigt überlebte. Es gab einige verschiedene Erzählungen im Internet, weshalb das Graffiti aus den 30ern heute noch an der Hauswand stehe. Meist wurde beschrieben, dass es entweder von einem Stromkasten oder einem Zigaretten-Automaten verdeckt und somit geschützt wurde und unerkannt blieb. An jenem Abend war auch nur ein Teil lesbar, da das eingepackte Mobiliar der Außenbestuhlung des Restaurants davor stand. Zumindest könnte das wirklich ein Grund sein. Vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus, das sich genauso in Marburg ausbreitete: Auch das heute wie damals rote Marburg war mit dem Faschismus überdeckt und vielleicht zu dieser Zeit auch das Graffiti an der Wand. Auf Anfrage, ob es je einen Antrag im Stadtparlament gab, die Aufschrift unter Denkmalschutz zu stellen, gab es nach Wissens des ehemaligen Professors Georg Fülberth, selbst Schüler von Wolfgang Abendroth, nicht. Er selbst war von 1990 bis 1993 Stadtverordneter der DKP und zwischen 2007–2011 ebenfalls als DKP-Mitglied Stadtverordneter der Fraktion „Marburger Linke“ in Marburg. Jedoch erzählte mir Pit Metz am Telefon (DGB-Kreisvorsitzender Landkreis Marburg-Biedenkopf) und ebenfalls ehemaliger Stadtverordneter (DKP, Marburger Linke), dass Fisch-Öl unter die Farbe gemischt wurde, deshalb die Farbe tief in den Sandstein eingedrungen ist. Rechte hatten in Laufe der Jahre immer wieder versucht, die Aufschrift zu beschädigen, jedoch durch das Abkratzen sei das Graffiti nur noch mehr in den Vorschein getreten.
Auch meine Suche nach ähnlichen Graffitis aus dieser Zeit mit dem selben Slogan erwies sich als erfolgreich. Neben Marburg gab es diesen Schriftzug „Wählt Thälmann“ aus der gleichen Zeit ebenfalls in Weimar und in Essen. Das Graffiti, das sich im Stadtteil Katernberg von Essen befindet, ist auf einer roten Ziegelmauer eingekratzt und wurde von Mitgliedern der DKP im Jahr 2000 beim Flyerverteilen entdeckt. Daraufhin stellten sie einen Antrag beim Stadtrat, den Schriftzug unter Denkmalschutz zu stellen, da es sich hierbei um ein „als zeitgeschichtlicher Beleg von großer historischer Bedeutung“ handele, jedoch wurde dieser Antrag von einer großen Koalition aus SPD, CDU und Republikanern abgelehnt.
Hindenburg im roten Marburg
Doch wer war Thälmann? Ernst Thälmann war der Vorsitzende der KPD (Kommunistischen Partei Deutschlands) von 1925 bis zu seiner Verhaftung von den Nazis am 3. März 1933 und verbrachte elf Jahre Einzelhaft im KZ Buchenwald, ehe er im August 1944 auf Befehl von Hitler erschossen wurde. Die KPD unter Thälmann beschrieb die kommende Nazi Zeit mit ihrem Wahlspruch ganz genau und treffend mit den Worten: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“ Und so kam es auch: Paul von Hindenburg gewann zwar im 2. Wahlgang gegen Hitler und Ernst Thälmann, aber ernannte am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum deutschen Reichskanzler. Somit begann auch die Nationalsozialistische Schreckenszeit und die Menschheit erlebte den 2. Imperialistischen Weltkrieg mit Unterstützung des deutschen Kapitals, wie es die KPD vorhersagte.
Bei der Recherche zur Aufschrift am Marktplatz machte ich eine weitere Entdeckung und zwar, dass mit dem aufrücken der Roten Armee im Januar 1945 die Nazis Hindenburgs Gebeine und die seiner Frau Getrud von Sperling aus Ostpreußen evakuierten und diese später von den amerikanischen Truppen nach Marburg transportiert wurden. Und heute liegen diese beiden in der Elisabethkirche in Marburg begraben. Was das für eine Ironie sein mag, dass der Mann, der Hitler und den Faschisten zur Macht verhalf, nach dem Krieg ausgerechnet in Marburg begraben wurde: In der Stadt, wo im Verlauf der Jahre sich eine starke antifaschistische Bewegung befestigte und es zu einer Hochburg der Kommunisten in der BRD wurde.
Die Bedeutung der Aufschrift heute
Wenn wir uns die aktuelle Zeit anschauen, hat das Graffiti aus dem Jahr 1932 eine enorme Bedeutung. Hiermit ist nicht die Aneinanderreihung der Buchstaben gemeint, sondern die Wahrnehmung antifaschistischer und antikapitalistischer Propaganda im Allgemeinen und konkret im Alltag. In der aktuellen Stunde, in der das Kapital unter dem Vorwand der Pandemie alles daran setzt, Profit zu schlagen, schafft es auch gleichzeitig, die kritischen Stimmen von links zu unterbinden. So sind seit Beginn der Pandemie eben diese Stimmen leiser geworden und es begann die Haltung „Pausieren bis nach der Krise“. Doch genau jetzt ist der Moment da, um lauter zu erklingen, als bisher. Das Pausieren hat dem Verschwörungswahn und ihren braunen Hintermännern das Feld geebnet und diese haben während dieser Zeit viele Teile der Bevölkerung ansprechen können, weil sie die Gunst der Stunde ergriffen haben. Deshalb muss es die Aufgabe aller fortschrittlichen Kräfte sein, wieder im Alltag der Menschen wahrgenommen zu werden mit einer klaren antifaschistischen und antikapitalistischen Haltung eine Alternative zu zeigen!