An folgender Stelle dokumentieren wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion den Artikel “Jurist und Antifaschist aus innerer Überzeugung” von RA Ralph Dobrawa aus der aktuellen Ausgabe (April 2024) der Monatszeitschrift Rotfuchs – Tribüne für Kommunisten, Sozialisten und andere Linke:
Jurist und Antifaschist aus innerer Überzeugung – Zum 100. Geburtstag von Heinz Düx
RA Ralph Dobrawa
Erst im Dezember vergangenen Jahres wurde in der Presse und auch im Fernsehen an den 60. Jahrestag der Eröffnung des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt am Main erinnert. Am Zustandekommen dieses bedeutenden Strafverfahrens hatte vor allem Heinz Düx einen entscheidenden Anteil. Er war in der Zeit von 1960 bis 1963 als Untersuchungsrichter am Landgericht Frankfurt am Main tätig, vernahm in dieser Eigenschaft mehr als 200 Zeugen und bereitete damit eine wesentliche Grundlage für die spätere Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft gegen ursprünglich 24 und später noch 22 verbliebene Beschuldigte, die in unterschiedlichen Funktionen an der Ermordung von Häftlingen des KZ Auschwitz beteiligt waren. Nur drei von ihnen wurden freigesprochen.
Düx wurde am 24. April 1924 im hessischen Marburg geboren. 1942 legte er hier auch sein Abitur ab und begann im gleichen Jahr Rechtswissenschaft an der dortigen Philipps-Universität zu studieren. Die erste Staatsprüfung bestand er 1946 erfolgreich, das Referendarexamen 1950. Zwischen beiden Prüfungen wurde er 1948 mit einer Arbeit über die freie Gewerkschaftsbewegung promoviert. Ab 1954 war er zunächst als Richter eingesetzt. Der damalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer war Ende der 50er Jahre auf den jungen Juristen aufmerksam geworden. Er unterschied sich von anderen seiner Kolleginnen und Kollegen, weil er seine Meinung deutlich äußerte und die Notwendigkeit der juristischen Aufarbeitung von Nazigewaltverbrechen erkannt hatte. In diesem Sinne wirkte Heinz Düx auch als Untersuchungsrichter. Man kann heute ohne Zweifel sagen, daß er wesentlich dazu beigetragen hat, daß die Überlegungen und Ziele, die Fritz Bauer mit dem angestrebten Prozeß verfolgte, auch umgesetzt werden konnten. Ein anderer Untersuchungsrichter hätte in dieser Funktion mehr zum Hemmschuh werden können. Insofern war er ein Glücksfall. Sein Interesse an der Aufklärung der im Konzentrationslager Auschwitz begangenen Massenverbrechen äußerte sich auch darin, daß er auf eigene Kosten im Juli 1963 das Lager besuchte und sich mehrere Tage einen Eindruck von den Örtlichkeiten machte. Hierzu wurde er am 10. Oktober 1964, dem 101. Verhandlungstag, selbst als Zeuge vernommen. Seine Schilderungen haben dem Gericht – unabhängig davon, daß dieses ebenfalls einen Ortstermin auf dem Gelände des ehemaligen Lagers durchführte – verdeutlicht, wie die einzelnen Lagerstrukturen aufgebaut waren. Gleich zu Beginn seiner Aussage wies Heinz Düx darauf hin, daß er während seines Aufenthalts im Lager auch dort übernachtet hat.
Er hatte keine Vorbehalte gegenüber der Volksrepublik Polen und der DDR. Dies zu einer Zeit, wo zwischen den beiden deutschen Staaten keine offiziellen Beziehungen bestanden. Düx war nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus zunächst der KPD beigetreten und gehörte später der SPD an. Sehr aktiv wirkte er in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten mit. Das wurde in den Kreisen der westdeutschen hessischen Justiz nicht gern gesehen. Trotzdem ernannte man ihn 1970 zum Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Frankfurt/Main. Der bekennende Antifaschist war auch ein brillanter Jurist. Das konnten auch jene nicht leugnen, die ihm nicht gewogen waren. Dennoch versuchte die hessische CDU, daß Düx disziplinarrechtlich verfolgt wurde, mit dem Ziel, ihn aus dem Dienst zu entfernen. Engagierte Richter dieser Art waren unerwünscht. Ihn hat das nie beeindruckt. Er hat sich weder angepaßt noch von seinen Überzeugungen distanziert. Diese aufrechte Haltung verdient großen Respekt. Als manches nicht fruchtete, was seine Widersacher erreichen wollten, versuchten sie, seinem Sohn, der gleichermaßen Rechtswissenschaft studiert hatte, bei der Erlangung der Anwaltszulassung Steine in den Weg zu legen. Die Rechtsanwälte Otto Schily und Friedrich Karl Kaul mußten sich für ihn einsetzen. Hierüber erzählte mir Heinz Düx anläßlich einer Begegnung im Frühjahr 2014 in Kassel und kommentierte den Vorgang schmunzelnd mit den Worten: „Man schlug den Sack und meinte den Esel.“ Dabei vertraute er mir auch an, daß er es war, der Friedrich Karl Kaul animierte, für Nebenklageberechtigte aus der DDR im Auschwitz-Prozeß aufzutreten.
Neben seiner richterlichen Tätigkeit hat er eine Fülle von Beiträgen in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, darunter der antifaschistischen Wochenzeitung „Die Tat“. In den Jahren 1973 bis 1991 war er Mitbegründer und Mitherausgeber der fortschrittlichen Zeitschrift „Demokratie und Recht“, die unter anderem auch von Wolfgang Abendroth, Heinrich Hannover und Norman Paech begründet wurden. Wer sich einen Eindruck über sein umfangreiches journalistisches Wirken verschaffen will, dem sei der Band mit den gesammelten Schriften von 1948 bis 2013 „Justiz und Demokratie. Anspruch und Wirklichkeit in Westdeutschland nach 1945“ empfohlen, den Friedrich Martin Balzer zusammengestellt und herausgegeben hat. Auch in hohem Alter brachte sich Heinz Düx noch in den Meinungsbildungs- und gesellschaftlichen Diskussionsprozeß als Zeitzeuge ein. So hielt er auf dem 2. Rosenburg-Symposium der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Jahr 2013 einen hochinteressanten Vortrag. Ein Jahr später trat er auf einer Tagung zum 50. Jahrestag des Auschwitz-Prozesses in Kassel auf.
Heinz Düx starb am 3. Februar 2017. Seiner Todesanzeige in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ist das bekannte Marx-Zitat, daß das Sein das Bewußtsein bestimmt, vorangestellt. Der Rückblick auf sein Leben macht deutlich, daß dies wohl auch eine seiner Lebensmaximen gewesen sein muß.