Folgenreiche Privatisierung: Das Uniklinikum Gießen und Marburg – Gastbeitrag von Ulf Immelt

An folgender Stelle dokumentieren wir den Artikel “Drama mit vier Buchstaben” von  aus der aktuellen Ausgabe der UZ (Unsere Zeit; Sozialistische Wochenzeitung – Zeitung der DKP), der sich mit der Privatisierung des Uniklinikums Gießen und Marburg und dessen Folgen beschäftigt.

Folgenreiche Privatisierung: Das Uniklinikum Gießen und Marburg

Drama mit vier Buchstaben

Gastbeitrag von Ulf Immelt

Privat geht vor Staat“. Um diesen neoliberalen Glaubenssatz zu widerlegen, genügen bei politischen Debatten in den mittelhessischen Städten Gießen und Marburg vier Buchstaben: UKGM. Diese stehen für das bisher bundesweit einzige privatisierte Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Seit dessen Verkauf 2006 an die Rhön AG durch die Hessische Landesregierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch haben sich sowohl die Arbeitsbedingungen für die dort Beschäftigten als auch die Gesundheitsversorgung in der Region kontinuierlich verschlechtert. Gleichzeitig erfreuten sich die Aktionäre hoher Dividenden.

Mit der Übernahme der Anteilsscheine der Rhön-Aktionäre am UKGM durch den Asklepios-Konzern vor zwei Jahren hat sich die Situation weiter verschärft. Im vergangenen Herbst berichtete der Betriebsrat gegenüber dem „Hessischen Rundfunk“ (HR) von einer „wahren Kündigungswelle“. Allein auf einer Station der Gefäßchirurgie am Standort Marburg hatten 15 von 16 Pflegekräften auf einmal gekündigt und wechselten fast geschlossen an ein Krankenhaus im benachbarten Gießen.

Diese Abstimmung mit den Füßen hat die Konzernleitung nicht davon abgehalten, weiter Öl ins Feuer zu gießen. In der letzten Juniwoche wurde eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2017 gekündigt, die vorsah, auf Outsourcing und betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Betroffen hiervon sind dann, wenn keine Anschlussvereinbarung getroffen wird, vor allem Beschäftigte der sogenannten „patientenfernen Leistungen“. Während bei den Pflegern gesetzliche Vorgaben die personellen Mindeststandards zumindest auf dem Papier regeln, ist dies bei den Beschäftigten in Klinikwäschereien, Küchen oder beim Reinigungspersonal nicht der Fall. Hier könnte daher Asklepios mit der Anwendung sogenannter „Kosten-Nutzen-Optimierungen“ besonders hohe Rendite erzielen.

Dass solche Methoden auch am UKGM Anwendung finden werden, gilt als ausgemachte Sache. Dem mit 30.000 Betten zweitgrößten private Klinikbetreiber in Deutschland eilt der Ruf voraus, Kliniken aufzukaufen, um aus diesen dann maximalen Profit herauszuholen. Schon vor zwei Jahren berichteten Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Asklepios-Häusern dem „Hessischen Rundfunk“ von enormem Druck und schlechter Bezahlung. Asklepios-Firmengründer und Alleingesellschafter Bernard Grosse Broermann sieht dies naturgemäß ganz anders. Er bezeichnete die Firmenpolitik gegenüber der „FAZ“ als erfolgreiches „Turnaround-Management“. Man übernehme defizitäre Krankenhäuser von öffentlichen Trägern. Die Kliniken würden sich unter dem Dach von Asklepios dann besser entwickeln als zuvor.

Wie Asklepios dabei konkret vorgeht, zeigt ein Blick in öffentlich einsehbare Unternehmensregister. Neben der Firmenzentrale in Hamburg gehören zum Konzern eine milliardenschwere Holding und zahlreiche kleine Tochterfirmen, die bestimmte Dienstleistungsbereiche rund um den Gesundheitsbetrieb abdecken. So gibt es beispielsweise eigene Asklepios GmbHs für Verwaltung, Hauswirtschaft, Technik oder Catering. Allein in Königstein im Taunus sind fast 50 Unternehmen unter einer Adresse gemeldet. Dies macht sich dann auch an aktuellen Stellenausschreibungen des Konzerns bemerkbar. Gesucht werden aktuell Sterilisationsassistenten in Lich bei Gießen, Cateringmitarbeiter in Schwalmstadt im Schwalm-Eder-Kreis und Medizintechniker in Bad Wildungen im Kreis Waldeck-Frankenberg. Alle sollen in den örtlichen Klinken arbeiten, werden aber nicht direkt dort angestellt, sondern bei einer jeweiligen Tochterfirma. Wenn diese Praxis zukünftig auch am UKGM angewendet wird, würde in der Konsequenz für die outgesourcten Kolleginnen und Kollegen weder der gültige Tarifvertrag Anwendung finden noch würden die Schutz- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats für diese gelten.

Die Privatisierung und deren Folgen wurden über die Jahre nie widerspruchslos hingenommen. Von Anfang an regte sich Widerstand. Das Bündnis „Für unser Klinikum“, getragen von Gewerkschaften, Parteien, Verbänden und vielen Einzelpersonen, kämpft seit vielen Jahren gemeinsam mit den Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen, gegen Stellenabbau und nicht zuletzt für die Rückführung des UKGM in öffentliches Eigentum. Zuletzt wurde im November des vergangenen Jahres eine von 18.000 Menschen unterzeichnete Petition an den Hessischen Landtag übergeben mit dem Ziel, die Privatisierung der Universitätskliniken Gießen und Marburg zurückzunehmen. Diese deutliche Manifestation des Bürgerwillens hat die Landesregierung jedoch nicht zum Umdenken veranlasst. Die für das UKGM zuständige Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) hält zwar die Privatisierung – wenn man ihren Verlautbarungen glauben darf – „eigentlich auch für falsch“. In einem Interview mit dem HR stellte sie fest, dass es dadurch zu einem „enormen Effizienzdruck“ an der Klinik komme. Aber sie halte die Forderung, eine Rückführung über eine Enteignung zu schaffen, für juristisch wie praktisch sehr schwer umsetzbar. Asklepios sei der größte Gesundheitskonzern Deutschlands. Man könne sich vorstellen, dass die dann nicht einfach sagen würden: „Das ist in Ordnung so.“ Diese Einschätzung der Ministerin zeigt, in „unserem“ Wirtschaftssystem endet der „demokratische Sektor“ nicht nur am Werkstor, sondern auch an der privatisierten Klinikpforte.