Stellungnahme „Wer den Reichen nichts nimmt, kann den Armen nichts geben.“ Oder: Warum eine Gewerbesteuersenkung nicht zustimmungsfähig ist.

„Wer den Reichen nichts nimmt, kann den Armen nichts geben.“ Oder: Warum eine Gewerbesteuersenkung nicht zustimmungsfähig ist.

Wir, die vier Mitglieder der Fraktion Marburger Linke Tanja Bauder-Wöhr, Roland Böhm, Anja Kerstin Meier-Lercher und Inge Sturm, haben bisher öffentlich geschwiegen, weil wir gedacht/gehofft haben, den Dissens innerhalb der Fraktion – der ja nur einen einzigen, aber entscheidenden Punkt betrifft – klären zu können. Nun ist angesichts zahlreicher mehr oder weniger öffentlicher Äußerungen derer, die den Haushalt trotz der Gewerbesteuersenkung mittragen, der Punkt erreicht, an dem wir einiges daran geraderücken müssen, denn Wir sind nicht bereit, uns die Schuld für das Scheitern der Koalition in die Schuhe schieben zu lassen. Wir sind nicht der Sündenbock für einen Richtungsstreit  innerhalb der Partei DIE LINKE.

Wir vier haben alle den Koalitionsvertrag aus Überzeugung mitverhandelt und das Ergebnis für gut befunden. Wir hätten auch dem Haushalt zugestimmt, weil er unsere Projekte aus dem Koalitionsvertrag auf den Weg bringt. Doch die damit untrennbar verbundene Gewerbesteuersenkung können wir nicht mittragen. Die Erpressung von BionTech steht in diametralem Gegensatz zum Wahlprogramm der Marburger Linken. Unser „Markenkern“ ist seit vielen Jahren die Forderung, gesellschaftlichen Reichtum von oben nach unten zu verteilen. Dafür kämpfen wir und dafür werden wir geschätzt und gewählt. Die Senkung der Gewerbesteuer ist das genaue Gegenteil, Umverteilung von unten nach oben pur. Mit dem Beschluss vom 17. Dezember macht sich die Stadt laut Plan um 34,5 Millionen Euro ärmer (vermutlich sogar um noch mehr, da die Einnahmen am Ende des Jahres immer über den Planansätzen lagen). Unwidersprochen kommen die Gewerbesteuereinnahmen zu 80 % von den „großen fünf“, zu denen neben BionTech auch CSL, GSK und die DVAG gehören. Das heißt also, dass die großen Kapitalgesellschaften etwa 27,5 Mio. mehr Gewinn machen.

Dass Politiker*innen ihre Meinung wie das Hemd wechseln, wenn es ihnen Vorteile verspricht, ist ein gängiges Vorurteil in der Bevölkerung, das auf vielen realen Erfahrungen beruht. Wir stehen dafür, dass wir nach der Wahl versuchen, das umzusetzen, was wir vorher versprochen haben. Deshalb konnten und können wir diese Umverteilung von unten nach oben nur ablehnen, sonst machen wir uns persönlich und politisch unglaubwürdig. Wir haben im Vorfeld mehrfach fraktionsintern Lösungsmöglichkeiten angeboten, wie DIE LINKE in der Koalition bleiben könnte. Auf diese Vorschläge wurde nicht eingegangen. Daher sind wir bei unserer Haltung geblieben und haben uns nicht auf den faulen Kompromiss „Enthaltung“ (= indirekte Zustimmung) eingelassen. Dafür haben wir in den letzten vier Wochen auch sehr viel Zuspruch erhalten.

Nach wie vor sehen wir, dass der Koalitionsvertrag gute Ansätze enthält, die auch in den Haushalt 2022 eingeflossen sind und die wir ausdrücklich unterstützen. Zusammen mit unserem Wahlprogramm ist das eine gute und breite Basis, auf der zukünftig die Fraktion gemeinsam und solidarisch gute inhaltliche Politik für unsere Wähler*innen machen kann. Nur wenn wir so die erfolgreiche Arbeit des Bündnisses Marburger Linke fortsetzen, können wir dem gemeinsamen Ziel näherkommen, gesellschaftlichen Reichtum gerechter zu verteilen und alle daran teilhaben zu lassen. Mit Steuersenkungen für börsennotierte Kapitalgesellschaften geht das jedenfalls nicht!

Tanja Bauder-Wöhr, Roland Böhm, Anja Kerstin Meier-Lercher und Inge Sturm
Fraktion Marburger Linke